Schlagwörter
Angst, Übelkeit, Brustamputation, CT, Eltern, Freude, Humor, Krankenhaus, Metastasen, Narkose, Partner, Schmerzen, Vertrauen
Von der Diagnoseverkündung bis zur Brustamputation waren es nur 5 Tage… sie kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Seither funktioniere ich nur noch. Ich lasse alles mit mir machen – auch wenn ich natürlich alles kritisch im eigenen Köpfchen hinterfrage. Aber jeder Schritt erscheint mir logisch und gut durchdacht. Also spiele ich mit und lasse alles geschehen.
Mein Freund bringt mich ins Krankenhaus. Schon wieder. Die erste Operation ist noch keine drei Wochen her und gestern waren wir zwecks CT-Aufnahmen hier. Letzteres lief im Übrigen reibungslos, offizielle Ergebnisse gibt es aber noch nicht.
Ich bekomme mein Bett zugewiesen und richte mich „häuslich“ ein. Meinen Freund schicke ich dann weg. Es macht einfach keinen Sinn, dass er auch wie ein Schluck Wasser da sitzt und der Dinge verharrt, die da passieren mögen. Es reicht, wenn das einer tut. „Geh ruhig.“ „Wirklich?“ Ich nicke: „Ja. Ich melde mich noch einmal, wenn es los geht…“. Er holt sich von einer Schwester noch die Telefonnummer der Station und versichert mir, dass er meine Eltern auf dem Laufenden hält. Ich kriege noch einen Kuss und dann verabschiedet er sich.
Inzwischen bekomme ich schon mal alles, was das OP-Herz so begehrt: Meinen Ganzkörper-Flattermantel, der schon so manch schönen Hintern gezeigt hat… bezirzende Stützstrümpfe und einen wunderschönen Einweg-Slip in Netzoptik. Man man, dat geht hier echt heiß her! Aber Moment mal, den Schlüpfer habe ich doch bei der ersten OP nicht bekommen? Die Schwester meint: „Oh, dann haben wir wohl vergessen, Ihnen den zu geben“. Na wie schön… jetzt weiß ich auch, warum die jungen Pfleger bei der ersten OP so beschämend wegschauten als ich im Vorbereitungsraum den Flattermantel ablegen musste. Weil ich keinen Slip bekam, hatte ich dann nämlich auch keinen an! Oh man, ich könnte schwören, dass ich gerade noch im Nachhinein rot werde. Ansonsten liegt dem ganzen Equipment noch ein Einweg-Rasierer bei, den ich getrost beiseite legen kann, weil ich in dieser Hinsicht bereits vorgesorgt habe. Schon komisch, auf was man (wahrscheinlich eher als junger Mensch) selbst in so einer Situation alles achtet. Eigentlich sollte mir ja egal sein, was andere denken. Habe ja gerade wirklich ganz andere Probleme. Aber nein, dennoch sitze ich am Vorabend einer OP im heimischen Badezimmer und rasiere mich vorsichtshalber überall, wo ich es sonst auch tun würde. Man weiß ja nicht, wer einem da so untern „Rock“ schaut, wenn man narkotisiert und wehrlos auf dem OP-Tisch liegt! Genau genommen schon ziemlich bescheuert. Wenn ich noch Single wäre, würde das vielleicht sogar Sinn machen… aber unter meinen Umständen muss ich ja nun wirklich keinen Fremden mehr beeindrucken. Aber vielleicht schaut ja doch mal einer unter die sterile Abdeckung… Stelle mir gerade vor, wie ich aus dem OP komme und wieder wach werde, auf meinen Arm schaue und neben einer Telefonnummer folgende Aufschrift entdecke: Vielleicht trinken wir mal einen Kaffee zusammen? 🙂
Jedenfalls sind all diese schönen Dinge (Strümpfe, Höschen, Flattermax und Rasierer) schön in einer Nierenschale angerichtet – auch die werde ich wahrscheinlich nachher wieder gebrauchen können. 😦 Ich ziehe mich um. Die Strümpfe weiß ich dieses Mal besser anzuziehen. Bei der ersten OP stand die Schwester doch etwas verwirrt vor mir und wunderte sich, dass ich mir die Stützstrümpfe versucht hatte bis über die Oberschenkel zu ziehen… sind sie doch nur für die Unterschenkel gedacht. Woher soll ich das denn wissen? Sagt einem ja keiner! Die Schwestern legen einem all diese Sachen mit einer Selbstverständlichkeit aufs Bett, als ob man jede Woche da wäre und sich schon auskennen würde. Möchte nicht wissen, wie oft Patienten den Umhang schon mit der Öffnung nach vorn angezogen haben… Außerdem habe ich noch nie Stützstrümpfe gesehen, die nur die Unterschenkel bedecken. Macht das überhaupt Sinn? Können derartige Strümpfe überhaupt eine Funktion erfüllen? Dass es die Strümpfe auch nur in einer Größe gibt, macht die Verständlichkeit meinerseits auch nicht gerade besser. Die Dinger sitzen alles andere als stramm an meiner Haut. Aber ok, ich will ja gar nicht meckern. Angezogen und wieder ins Bettchen gelegt.
Es dauert noch ein Weilchen. Weil man zur OP ja nüchtern erscheinen muss, kriege ich langsam Hunger… dann aber bekomme ich die „Scheiß-egal“(oder auch LMAA)-Tablette. Ich rufe meinen Freund an und sage ihm, dass es in ungefähr 30 Minuten soweit sei. Dann gehe ich noch einmal auf die Toilette und schlucke schließlich die Tablette. Im Vergleich zur ersten Operation schlägt diese nun deutlich besser an. Die Fahrt vom Zimmer zum OP bekomme ich jedenfalls kaum noch mit. Schon geil diese kleinen Pillen! Ich bin im Vorbereitungsraum, also im Vorraum des OP-Saals. Hier werde ich wieder mit allem versorgt, sodass es drinnen gleich losgehen kann. Irgendwer vom Personal beschwert sich darüber, dass ich nicht angemalt sei. Während ich mich noch frage, was die Dame eigentlich für ein Problem hat, lehnt sich schon meine Ärztin, die mich auch operieren wird, über mich und versichert, dass das so seine Richtigkeit hat. Sie will mir spürbar die Angst nehmen und streichelt mir ganz lieb die Schulter: „Alles wird gut!“. Wie eine Mami tröstet und umsorgt sie mich. Dann fängt die Narkose an zu wirken…
Als ich das erste Mal zu mir komme, bin ich im Aufwachraum. Die Augen bekomme ich kaum auf, zu schwer sind sie noch. Ich merke nur, dass ich seitlich an der rechten Brustwand Schmerzen habe. Ich sage leise „Hallo?“, dann höre ich jemanden an meiner Seite, der mich fragt, ob es irgendwo weh tut. Ich sage „Ja“ und versuche mit dem Finger auf die besagte Stelle zu deuten. Plötzlich gehen die Schmerzen weg und ich schlafe wieder ein.
Das nächste Mal werde ich in meinem Zimmer wach. Die Ärztin steht an meinem Bett und sagt mir, dass alles gut verlaufen sei. Sie legt mir ein Kissen in Herzform zwischen den rechten Arm und seitlicher Brustwand. „Das sind Kissen, genäht von Krebspatienten für Krebspatienten. Ich habe Ihnen mal ein schönes Muster rausgesucht, von dem ich denke, dass es Ihnen gefällt.“ Dann berichtet sie mir von den verbindlich ausgewerteten und damit für mich eindeutig zuverlässigen Ergebnissen von Skelettszintigraphie und CT: Nichts zu sehen! Sie erzählt noch irgendwas von einer Kleinigkeit in der Leber, welche aber harmlos sei, wahrscheinlich nur eine kleine Vernarbung. Egal… das Wichtige ist: Keine Metastasen!!! Ich bin von der Narkose noch so benommen, dass ich mich gar nicht richtig freuen kann. Ich schlafe ruhig und zufrieden wieder ein.
Als ich erneut aufwache, stehen meine Eltern am Bett, mit Tränen in den Augen. Meine Mami hält einen weißen Bären in der Hand. Ich nehme ihn zu mir ins Bett. Dann schauen sie neugierig unter meine Decke, in der Hoffnung einen Blick auf die amputierte Seite werfen zu können. Mein Oberkörper ist jedoch derart gut in Verbandsmaterial eingewickelt, dass da nichts zu sehen ist. Ich fasele noch irgendwas von „keine Metastasen“ und schlafe wieder ein.
Zum Abend hin baut mein Körper die Narkose immer weiter ab und ich erlange Stück für Stück mein klares Bewusstsein wieder. Ich schaue unter meine Kutte und versuche zu erahnen, was da gemacht wurde. Keine Chance! Mein Brustkorb ist ein einziger Verbandskasten und die Narbe so gut gepolstert, dass ein Unterschied zwischen rechts und links gar nicht zu sehen ist. „Leerer“ fühle ich mich rechts nicht. Es ist nur unangenehm, da diese Seite unglaublich stark komprimiert wird.
Die Nierenschale benötige ich zum Glück nur einmal. Dann nicht mehr. Damals, nach der ersten Operation, musste ich mich ja permanent übergeben. Dieses Mal hatte ich das gleich im Voraus mit den Anästhesisten besprochen, sodass die mir noch irgendwas im OP gegeben haben, was die Kotzerei nach dem Aufwachen eindämmen sollte. Hat funktioniert – sehr schön!