Schlagwörter
Angehörige, Epithese, Krankenhaus, Narbe, Physiotherapie, Psychologin, Sanitätshaus Seeger, Schwerbehindertenausweis, Sozialberatung, Stärke, Weiblichkeit
Also der Laden hier ist wirklich sehr gut durchgestylt! Ohne mein Zutun standen bisher alle – für meine Situation nun notwendigen – Personen an meinem Bett: Eine Physiotherapeutin, eine Psychologin, eine Mitarbeiterin vom Sanitätshaus Seeger und eine Sozialarbeiterin. Man hat hier offenbar begriffen, dass die Patienten gerade am Anfang ihrer Diagnose genug überfordert sind und geben einem deshalb alles Wichtige sofort mit auf den Weg. Mal ehrlich: Von allein wäre ich ganz gewiss nicht auf die Idee gekommen, dass ich mir nun einen Schwerbehindertenausweis zulegen sollte.
Die Physiotherapeutin kam gestern zum ersten Mal vorbei und schaut auch heute wieder um die Ecke. Sie macht Übungen mit mir, die in ihrer simplen Art zunächst fast lächerlich erscheinen, jedoch – wie ich schnell bemerke – äußerst nötig sind. Denn meine neue Narbe mit einer Länge von stolzen 20 cm zieht die Haut doch arg zusammen und erschwert die Armbewegung auf der rechten Seite merkbar, was für mich unter keinen Umständen ein haltbarer Zustand ist! Die Therapeutin gibt mir noch ein paar anleitende Tipps für zu Hause mit auf den Weg. So kann ich daheim schön weiter üben.
Die Psychologin vergewissert sich, dass ich alle Gedanken (halbwegs) klar beieinander habe und mit der neuen Situation so gut wie möglich zurecht komme. Ich finde es sehr angenehm, dass sie sich mir nicht aufdrängelt, sondern sich lediglich vorstellt und anbietet: ‚Hier bin ich, so sehe ich aus… wenn Sie meine Hilfe benötigen, melden Sie sich bitte bei mir’. Denn im Augenblick weiß ich überhaupt noch nicht, ob ich psychologische Hilfe tatsächlich benötige. Alles ist noch viel zu neu. Hier gilt für mich: Abwarten und sehen wie es kommt. Zugegeben, ich stehe psychologischem Beistand auch etwas skeptisch gegenüber. „Ich?! Nein, nein, nein… eine Psychologin brauche ich nicht! Das ist doch nur etwas für Weicheier!“ Aber genau das sagen bestimmt viele Patienten am Anfang, weil man sich ja nicht die Blöße geben will im Zweifel als depressives Wrack bezeichnet zu werden. Gerade Menschen wie ich, die doch einen gewissen Stolz haben und sich eher zu der Sorte von Mensch zählen, die etwas zäher durchs Leben schreiten als andere… gerade solche Menschen können sich nur schwer eingestehen, dass sie vielleicht doch einen Profi an ihrer Seite brauchen. Und nein, man ist dann kein Schwächling! Ich finde es in jedem Fall gut zu wissen, dass da jemand ist, dessen Hilfe ich im Zweifel beanspruchen kann. Aber zum jetzigen Zeitpunkt habe ich das Gefühl alle sieben Sinne beieinander zu haben. Mein soziales bzw. familiäres Umfeld steht – wenn auch noch etwas „bröckelig“ – fest an meiner Seite und unterstützt mich mit allen nötigen Mitteln. Das tut gut!
Allerdings ist mir auch klar, dass ausgerechnet ich nun diejenige bin, die gerade für alle Beteiligten ihr Bestes gibt, um so stark wie möglich zu sein. Vielleicht scheint es so manch einem nicht gesund, dass ausgerechnet ich nun all meine Kräfte bündele um für die anderen stark zu sein… aber es ist genau das, was jetzt alle brauchen. Und ich habe momentan nicht das Gefühl, dass es mich zusätzlich belastet. Im Gegenteil, Optimismus und Tatendrang helfen mir den entscheidenden Faden nicht zu verlieren. Und wenn ich zu meinen Angehörigen sage „Macht euch keine Sorgen… alles wird gut!“ dann soll das nicht nur eine Floskel zur Beruhigung der anderen sein. Nein, ich glaube tatsächlich auch selbst daran. Ich MUSS einfach daran glauben! Ich habe fast das Gefühl, dass es gar keine andere Option für mich gibt. Ich habe noch viel zu viel vor im Leben…
Die Sozialberaterin steht mir und meiner Bettnachbarin mit allen möglichen Ratschlägen zur Seite. Sie gibt uns so einige Zettel mit an die Hand, die wir zu Hause in Ruhe bearbeiten können. „Falls Sie Fragen haben, rufen Sie mich einfach an.“ Das werde ich in jedem Fall tun, denn diese ganze Flut an neuen Informationen kann ich hier und jetzt gar nicht in ihrer Fülle aufnehmen und fassen.
Zu guter Letzt kommt die Dame von Sanitätshaus Seeger mit Epithesen und entsprechenden BHs für meine Erstversorgung. Auch sie entpuppt sich schnell als angenehme und adäquate Ansprechpartnerin auf ihrem Gebiet. Allerdings bemerke ich schnell, dass ich mich arg umgewöhnen muss, was die Unterwäschemode angeht. Hier ist doch deutlich zu spüren, dass der Durchschnittsträger dieser BHs über 50 Jahre alt ist. Und dass die Devise „Ausschnitt und Dekolleté zeigen“ eindeutig ausgedient hat. Wie denn auch, mit nur einer Brust?! Eine gewisse Frustration ist unumgänglich. Beim Anblick der ersten Epithesen-BHs muss ich schon ziemlich seufzen. Natürlich hat die Dame nicht das ganze Repertoire ihres Ladens dabei, sondern vorerst nur drei Exemplare. Aber ich hege wenig Hoffnung, dass das restliche Angebot so viel anders aussehen wird. Sie wirken alle auf mich wie klassische „Oma-BHs“ – mit sexy hat das nicht mehr viel zu tun. Es würde nur noch fehlen, dass die BHs Hautfarbe hätten und das Klischee wäre perfekt. Aber nein, soweit hat die Frau glücklicherweise mitgedacht und der 26-Jährigen zumindest fröhliche bzw. halbwegs moderne Farben mitgebracht. Nachdem die Frage „Welcher BH?“ geklärt ist, bekomme ich die erste Epithese aus Watte. So neu das alles noch für mich ist, so unbeholfen sitze ich da. Die Frau setzt die Epithese in den BH ein, hilft mir ihn anzuziehen und zupft noch ein wenig an allem herum. Dann gehe ich ins Bad und schaue mir meine optisch neue Brust an. In der Tat ist das für den Anfang schon mal hilfreich… wenn auch noch sehr gewöhnungsbedürftig. Ich bin aber insgesamt sehr froh, dass es derartige Lösungen heutzutage gibt!