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Nach dem Wochenende bin ich am Montag zu meiner Frauenärztin gegangen, die mich weiterhin krankschrieb. Bei dieser Gelegenheit ließ ich mir auch gleich ein paar nützliche Rezepte für Epithesen und BHs aushändigen. Um den Heilungsverlauf weiter zu unterstützen, sackte ich auch eine Verordnung zur Physiotherapie mit ein. Das kann ich jedem in dieser Situation nur wärmstens ans Herz legen. Denn hier wird nicht nur etwas vorbeugend gegen ein Lymphödem getan, sondern auch mit vorsichtigen Bewegungen die Narbe gedehnt, sodass sie einmal schön elastisch und verschieblich wird. Zu Hause führe ich auch meine im Krankenhaus erlernten Übungen weiter fort und merke dadurch stetig die Verbesserung meiner Armbeweglichkeit.

Schmerzen habe ich zum Glück keine. Jedoch müssen durch die Operation einige Nervenbahnen durchtrennt worden sein. Wenn ich nicht hinsehe, mich aber im Umfeld der Narbe berühre, spüre ich das nicht. Ich habe absolut kein Gefühl auf diesem Bereich der Haut. Das ist in der Tat etwas gruselig.

Ansonsten ist es vor allem die Ungewissheit, die mich plagt. Schließlich weiß ich noch nicht, ob der Tumor restlos entfernt werden konnte oder nicht. Bin ich nun gesund? Keine Ahnung. Ich fühle mich durch die Amputation maximal leichter, mehr aber auch nicht. Vielleicht folgen ja doch noch andere OPs… wer weiß das schon. Vom Körpergefühl her fühle ich mich generell gesund. Aber das tat ich auch, als ich die Krebsdiagnose bekam… Einen Unterschied zu „Vorher“ bemerke ich demnach nicht. Das, was weh tat, wurde bereits in der ersten OP entfernt und verschaffte somit die gewünschte Schmerzminderung. Die zweite OP hingegen fand wegen Zellen statt, die noch gar nicht zu spüren waren. Und was der Mensch mit seinen Sinnen nicht erfassen kann, das fällt ihm bekanntlich schwerer zu verstehen.

Meinen Antrag auf Schwerbehinderung habe ich abgeschickt. Ich fühle mich immer noch etwas unbehaglich bei dem Gedanken, mit 26 einen Schwerbehindertenausweis zu besitzen. Irgendwie habe ich im Kopf immer noch die Vorstellung, dass das was für Leute im Rollstuhl ist oder eben für Senioren. Und was mach ich dann damit? Ich denke gerade an die Grundschulzeit, wo so viele Kinder ein Portmonee besaßen, dass man sich um den Hals hängen konnte und das auf einer Seite ein Fenster mit Klarsichtfolie hatte. In der Regel steckte dahinter der Schulbusausweis oder ähnliches. Sollte ich so dann meinen Schwerbehindertenausweis tragen? Ganz sicher nicht!

Und wie läuft’s sonst so?

Glücklicherweise tut die Wundnaht unter normalen Umständen überhaupt nicht weh. Im Krankenhaus stand ich ja unter dem Einfluss von Schmerztabletten. Für zu Hause hat man mir aber keine weiteren Medikamente mitgegeben, sodass ich schon etwas gespannt war. Aber nichts. Ich bin echt überrascht!

Aufgrund der frischen Wunde darf ich zunächst nicht in der Badewanne liegen. Macht aber gar nichts, da ich eh ein Dusch-Typ bin. Und kurz abduschen ist natürlich erlaubt. Allerdings passe ich auch hier sehr auf, dass nicht all zu viel Wasser über die Naht bzw. die Wundabdeckung läuft damit ich nichts unnötig aufweiche.

In der Nacht kann ich noch nicht auf der rechten Seite liegen – dann würde ich nämlich zu einem Teil auf der Narbe liegen und das tut weh. Da ich aber nur auf der Seite liegend genussvoll einschlafen kann, positioniere ich mich also auf der linken Schulter – mit dem Herz-Kissen aus der Klinik unterm rechten Arm und dem weichen Teddy vor der rechten Brustwand. So ist alles schön abgepolstert. So fühle ich mich wohl. Auch wenn natürlich später im Schlaf alles seinen Platz verliert und am nächsten Morgen zerstreut im Bett liegt. Mein Freund schläft im Bett auf meiner gesunden Seite, sodass auch hier keine größere Angst vor nächtlichen Um-sich-Hauens und dann die Narbe treffend existieren muss. Trotz aller Vorkehrungen werde ich aber dennoch in der Nacht ein- oder zweimal wach und erschrecke mich, weil meine rechte Hand sanft und schützend der Wunde direkt aufliegt. Im Halbschlaf taste ich dann suchend nach einer Brust. Vergebens. Schlagartig wird mir dann klar: Ach ja, da ist ja nichts mehr! Ich denke immer: So muss sich das für einen Mann anfühlen. Ich selbst komme mir in diesem Augenblick wieder wie ein 6-jähriges Mädchen vor, das noch kein Bewusstsein dafür hat, dass aus der Oberweite mal mehr werden wird. Dass meine Hand auf der Narbe liegt, finde ich auch deshalb so interessant, weil das nie passieren würde, wenn da noch eine Brust wäre. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, früher jemals wach geworden zu sein und bemerkt zu haben, dass ich mich selbst befummle. Vielleicht lege ich also ganz instinktiv meine Hand auf diese Stelle um die Wunde zu schützen? Oder gar um meine Brust zu schützen, die ja eigentlich nicht mehr da ist? Das Unterbewusstsein ist schon ein Mysterium.

Im Übrigen drängelte mein Freund nicht gerade danach, die OP-Naht zu sehen. Das hatte nichts mit der fehlenden Brust an sich zu tun. Denn ohne BH muss ich hier zu Hause eh rumlaufen, damit Luft an die Narbe kommt und alles besser abheilen kann. So hat er zumindest durch das Shirt schon gesehen wie sich mein neuer Körper abzeichnet. Damit ist er bisher sehr souverän umgegangen. Da er aber kein all zu großer Liebhaber von blutigen Angelegenheiten ist, hatte er schon ein wenig Angst vor der Wunde und wie es im Gesamtbild nackt auf ihn wirken würde. Ein paar Tage gab ich ihm, dann stand ich eines Abends ohne Vorwarnung plötzlich unbekleidet im Badezimmer während er in der Badewanne lag. Ich stellte mich nicht provokativ vor ihn hin, sondern erledigte weiter meine Sachen als ob es das normalste auf der Welt wäre – wohlwissend, dass er mich gerade mustern würde. Ich wartete natürlich dennoch auf irgendeine Reaktion. Dann sagte er:„So schlimm sieht es ja gar nicht aus… die Asymmetrie ist in der Tat etwas gewöhnungsbedürftig… aber ansonsten gar nicht schlimm.“ Allerdings stand ich in dieser Situation auch etwas weiter weg von ihm. Als wir zehn Minuten später im Bett lagen, nahm er allen Mut zusammen, die Narbe noch einmal aus unmittelbarer Nähe zu betrachten. Er holte tief Luft und ich zog das Hemd hoch. Und so schnell hatten wir diese Hürde auch genommen. Seit diesem Abend wird es für ihn täglich normaler, dass ich eben nur eine Brust habe.