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Auch wenn ich überhaupt nicht religiös bin, gehe ich jedes Jahr an Heiligabend mit der Familie in die Kirche. Das schafft zum Einen eine gewisse besinnliche Grundstimmung und zum Anderen finde ich es wichtig derer zu gedenken, die es auf der Welt nicht so gut haben wie man selbst. Menschen, deren Schicksale uns so weit weg erscheinen, dass es ein Leichtes ist, in der Kirche kurz an sie zu denken und danach wieder zum Alltag zurückzukehren. Und das alles ist so wahnsinnig einfach, weil man selbst nicht betroffen ist!
Wenn man sich aber plötzlich als ein Teil dieser Gruppe betrachtet, sieht die Sache schon ganz anders aus. Dann merkt man, was es heißt, wenn einen etwas wirklich bedrückt. Mitleid lässt sich nicht mehr so kontrolliert an- und abschalten. Es fesselt einen – durch und durch. Weil man zum allerersten Mal weiß, wie sich diese Menschen fühlen.
Mit dem Wissen, dass meine Eltern und ich also in der Kirche garantiert in Tränen ausbrechen würden, verzichteten wir in diesem Jahr auf den Kirchengang. Ich selbst fühlte mich auch noch nicht wieder bereit dafür – zu tief hing der Kloß im Hals noch fest. Wir haben es uns deshalb zu Hause sehr gemütlich gemacht und darauf angestoßen, dass ich nun tumorfrei bin.
Heute – am ersten Weihnachtsfeiertag – rundete meine Schwiegermami beim Essen die Sache äußerst amüsant ab. Denn beim Verteilen der Entenkeulen schaute sie mich an und fragte: „Na, noch ein Brüstchen?“. Ich hielt ihr gierig und zugleich lachend meinen Teller hin: „Oh ja, bitte noch ein Brüstchen!“. Und noch während sie realisierte, welch völlig unbeabsichtigtes Wortspiel sie da von sich gegeben hatte, ließ sie sich schon von meinem Grinsen anstecken… sowohl mit einem lachenden als auch weinenden Auge.