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Nachdem die Gemüter sich etwas beruhigt haben und der Oberarzt das Zimmer wieder verlassen hat, bin ich nun aufnahmebereit für den organisatorischen Kram. Die Gefühle versuche ich gerade ganz weit weg zu packen. Jetzt ist klares Denken wichtig!

Als erstes legt mir die Ärztin meinen Therapieplan vor. Beim ersten Hinsehen denke ich: ‚Oh man, was ist das denn für ´ne Palette!?’. Beim zweiten Blick wird schnell klar, dass „nur“ zwei der vielen Medikamente die eigentliche Chemotherapie ausmachen, während der ganze Rest dafür da ist, meinen körperlichen Zustand irgendwie bei Laune zu halten. Man erklärt mir, dass ich sechs Zyklen überstehen müsse. Ein Zyklus dauert drei Wochen, davon verbringe ich die erste für die Chemotherapie im Krankenhaus und die restlichen zwei daheim um mich wieder zu erholen. Dann folgt der nächste Zyklus und das Spiel geht von vorne los… bis ich die sechs Durchgänge geschafft habe. „Bitte suchen Sie sich eine onkologische Praxis in Ihrer Nähe. Denn Ihre Blutwerte müssen regelmäßig kontrolliert werden, wenn Sie zu Hause sind“, rät mir die Ärztin.

Als nächstes versucht sie den nächstmöglichen OP-Termin zu finden. Denn glücklicherweise werden die Medikamente gegen Krebszellen (Zytostatika) heutzutage nicht mehr über einen direkten Venenzugang verabreicht, sondern über einen sogenannten Port und dieser muss operativ unter lokaler Betäubung eingesetzt werden. Nach ewigem Hin und Her steht fest, dass man mir nächste Woche Freitagmorgen den Port einsetzen kann. „Dann können wir noch am Abend mit der Chemotherapie anfangen“, meint die Ärztin. Ich muss schlucken. Zum Durchatmen reicht die Zeit hier offenbar nicht. „Bitte kommen Sie schon am Donnerstagvormittag auf die Station damit wir alle notwendigen Untersuchungen und Aufklärungsgespräche erledigen können.“ Ich nehme mir meinen Terminplaner zur Hand um mir alles einzutragen. Plötzlich bleibt mir fast die Luft weg als ich feststelle, dass an dem besagten Freitag meine Mami Geburtstag hat – sie wird 50 und wollte groß feiern! 😦 Und so absurd das klingen mag, frage ich mich in diesem Augenblick tatsächlich: Wie kann ich ihr das nur antun?!

Während ich mir alles notiere, folgt auch schon die nächste Frage: „Wie sieht es mit Ihrer Familienplanung aus? Haben Sie schon ein Kind?“. „Nein.“ „Die Chemotherapie wird wahrscheinlich auch Ihre Eizellen angreifen. Es kann also sein, dass Sie nach Beendigung der Therapie unfruchtbar sind. Die Chance ist allerdings sehr gering… Dennoch muss ich Sie darüber informieren, dass Sie die Option haben, entsprechende Vorkehrungen vor Beginn der Chemotherapie zu treffen, zum Beispiel sich einen Eierstock wegfrieren zu lassen.“ Mein Bauchgefühl schießt sofort aus mir heraus: „Ich glaube nicht, dass ich das will…“. Sie gibt mir die Adresse eines Kinderwunschzentrums mit an die Hand. „Vielleicht möchten Sie sich zumindest einmal anhören, was die Ihnen anbieten können… Und wenn das bedeutet, dass wir den Therapiebeginn um ein oder zwei Tage verschieben müssen, ist das auch kein Problem.“ „Ach, auf einmal?!“ Ich denke mir meinen Teil…

Weil wir schon beim Thema sind, frage ich nach, wie es um die Anti-Baby-Pille steht. Leider schließt man sich auch hier der Meinung an, dass ich auf die Einnahme lieber für immer verzichten sollte. Dies gilt auch für alle anderen Verhütungsmethoden auf chemischer Basis. „Gerade jetzt – während der Therapie und auch im Jahr danach – dürfen Sie aber nicht schwanger werden! Bitte passen Sie entsprechend auf…“ Oh man!

Natürlich werde ich auch die Haare verlieren. Sie rät mir, so schnell wie möglich eine Perücke zu besorgen, da der Haarausfall wahrscheinlich gleich im ersten Zyklus beginnen wird. Interessanterweise macht mir das gerade am wenigsten Angst. Entsprechend winke ich dieses Thema weg, als ob es nur eine Nebensache wäre.

Die Ärztin händigt mir noch Informationsblätter zur Chemotherapie aus. Dann folgt die 1-Million-Dollar-Frage: „Haben Sie noch Fragen?“. Uff… hm… wahrscheinlich ganz viele… aber im Augenblick weiß ich gar nicht, ob die überhaupt irgendeiner beantworten könnte.

Sie begleitet mich hinaus. Der Anfang war zwar holprig aber so langsam nähern wir beide uns tatsächlich an. Als sie sich vergewissern will, ob ich ein stützendes soziales Umfeld habe, bemerkt sie schnell, dass ich mir die Rolle der festen Säule längst selbst zugeteilt habe. „Es mag Sie ehren, dass sie bisher für alle so stark waren… aber in den kommenden Monaten können Sie das nicht mehr leisten. Jetzt sind Sie diejenige, die auf die anderen angewiesen ist!“ Wie recht sie hat… Instinktiv weiß ich aber, dass diese Rechnung nicht aufgehen wird. Wenn ich nicht stark bin, dann werden es die anderen auch nicht zurechtbiegen können. Ich werde auch weiterhin all meine Kraft zusammennehmen und das „Steh-auf-Männchen“ sein.

Da sitze ich wieder – im Zug nach Nirgendwo. Meine Augen werden nun doch etwas feucht. Wat für `ne Scheiße!