Schlagwörter

, , , ,

Da ich durch die bevorstehende Therapie sehr viel länger ausfallen werde als geplant, besuche ich heute noch einmal meine Kollegen. Ich bin nun fast drei Monate nicht mehr an meinem Arbeitsplatz gewesen, weshalb ich mich sehr darauf freue, alle endlich wiederzusehen.

Natürlich hatte meine Diagnose auch hier heftig eingeschlagen. Seither habe ich die Kollegen regelmäßig via Email auf dem Laufenden gehalten. Mein Chef hatte mir sofort zugesichert, dass ich mir um meine Stelle keine Sorgen machen und mich nur auf meine Gesundheit konzentrieren solle. Dafür bin ich sehr dankbar! Ich sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass ich gerade meine Doktorarbeit schreibe und die Stelle dafür eigentlich auf drei Jahre befristet ist. Es beruhigt mich sehr, zu wissen, dass ich die angefangene Arbeit hoffentlich zum Ende des Jahres wieder aufnehmen und ohne Zeitdruck zu Ende bringen kann.

Ich komme ins Büro und werde herzlich begrüßt… nach und nach schauen auch andere Kollegen um die Ecke. Wie in den letzten Wochen schon öfter erlebt, begegnen mir auch hier alle Facetten der Reaktionen: Von dem Häufchen Elend bis hin zum Überspieler ist alles dabei. Ich kann allerdings immer noch nicht einschätzen, was von beidem ich besser oder angebrachter finde. Die Einen kosten mich immer etwas Kraft, weil ich das Gefühl habe, sie aus ihrem Loch herauszerren zu müssen. Die Anderen wiederum irritieren mich ein wenig, weil ich nicht weiß, ob sie meine Situation nicht verstanden haben oder ob sie mit aller Macht die bedrückte Stimmung heben wollen – egal ob mir zuliebe oder weil sie sich sonst selbst unangenehm berührt fühlen.

Inzwischen kann ich aber deutlich besser mit dieser Situation umgehen. Und so kommt es, dass ich in einem Raum stehe, wo kurioserweise ich diejenige bin, die am lautesten lacht… ein Verhalten, das wohl nur mir in diesem Augenblick zusteht – zumindest empfinde ich das so.

Ich durchforste meinen Schreibtisch und räume alles auf. Und während ich einige persönliche Dinge einpacke und den Rest in meiner mir sehr eigenen Akkuratesse anordne, meint ein Kollege: „Nun übertreib es mal nicht… du willst ja schließlich wiederkommen!“. Seine Sorgen sind ihm dabei deutlich anzuhören. Auch deshalb finde ich es sehr rührend. Aber dieser Satz hat noch auf anderer Ebene eine unglaubliche Wirkung auf mich. Denn natürlich will ich… aber würde ich auch können? Zum ersten Mal realisiere ich, dass vielleicht nicht mehr alles in meiner Hand liegt und das ein Versprechen an dieser Stelle gar nicht möglich ist. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, nicht selbst bestimmen und die Situation kontrollieren zu können. Jeder, der mich besser kennt, weiß, welch Qual das für mich ist! Ich werde zukünftig in glücklichen oder weniger glücklichen Umständen, auf die ich kaum einen Einfluss habe, gefangen sein. Was mir bleibt ist die Hoffnung… die Hoffnung darauf, dass alles vorbei geht und alles wieder wie vorher wird. Also ja, natürlich hoffe ich, dass ich zurückkomme… ob mir das tatsächlich auch gelingen wird, weiß ich nicht.

Dann besuche ich meinen Chef in seinem Büro. Auch er seufzt: „Wissen Sie noch, wie Sie Ende letzten Jahres hier bei mir standen und meinten ‚Ich bin nur mal ganz kurz weg…’?“. Ich sitze da mit gesenktem Kopf, schäme mich fast und nicke: „Hm“. Es ist nicht zu übersehen wie leid ihm das alles tut. Er bittet mich noch, in regelmäßigen Abständen ein Lebenszeichen von mir zu geben und dann verabschieden wir uns.

Am frühen Abend treffen wir uns mit den engsten Kollegen in einem Restaurant. Einige sitzen immer noch sehr betroffen da und tun sich mit der Kommunikation sehr schwer. Ich bin mir allerdings gar nicht sicher, ob ihnen wirklich die Worte fehlen oder ob sie sogar ganz viele Fragen haben, sich aber nicht trauen, diese zu stellen. Denn über die Krankheit, das Geschehene oder das Bevorstehende wird so gut wie kein Wort verloren. Ich kann nicht sagen, ob ich das gut oder schlecht finde. Denn einerseits hilft es mir, den Kopf frei zu kriegen und auf andere Gedanken zu kommen… andererseits kann es auch den Eindruck erwecken, als ob ich partout nicht darüber reden will.

Für mich ist das in der Tat eine schwierige Situation. Mein Partner und ich sind von Anfang an sehr offen mit der Krankheit umgegangen und beantworten auch weiterhin gern Fragen. Ich möchte ein Gespräch darüber aber nicht selbst beginnen, weil ich sonst das Gefühl habe, es den Leuten aufzuzwingen. So sind wir also darauf angewiesen, dass die Leute – wenn sie interessiert sind – aktiv auf uns zukommen und nachfragen. Sollte eine Frage unangenehm sein, kann ich das immer noch sagen – bin ja schließlich ein großes Mädchen!

So kann es also passieren, dass in einer Runde (wie dieser hier vielleicht) jeder Rücksicht nehmen möchte, obwohl man selbst bereit wäre, darüber zu sprechen. Ein Teufelskreis!

Irgendwann wird es für mich leider wieder Zeit, mit meinem Freund nach Hause zu fahren. Ich sitze im Auto und habe das Gefühl, dass ich mich mit Händen und Füßen gegen den Heimweg wehre… als ob ich direkt Kurs auf das Unheil nehmen würde. Ich hatte noch nie in meinem Leben solch einen Schiss! Bezüglich der Chemo und ihren Nebenwirkungen geht mir momentan alles Mögliche durch den Kopf. Ich habe keine Ahnung, was die kommende Zeit aus mir machen wird und diese Ungewissheit frisst mich regelrecht auf. Und wenn ich genau hinsehe, bemerke ich, wie ich tatsächlich zittere.