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Nachdem ich wach geworden bin, dauert es keine zwei Minuten bis eine Schwester aufgeregt ins Zimmer kommt: „Wir haben gesehen, dass Sie gestern gar nicht beim EKG und Herzultraschall waren. Da müssen Sie dringend noch hin bevor Ihnen der Port eingesetzt wird!“. Oh man, welche Schlafmütze hat das denn gestern verpennt!? Die ganze Sache wäre ja prinzipiell nicht dramatisch… aber wegen der OP darf ich weder was essen noch großartig was trinken. So watschle ich also noch ziemlich verschlafen zur Kardiologie – mit leerem Magen und ohne einen Schluck Kaffee… die perfekte Mischung ein Attentat zu begehen, wenn mir jetzt einer dämlich kommt!

Die Untersuchungen laufen zum Glück relativ flott und bringen keine spektakulären Befunde zutage. Auf dem Rückweg zur Station knurrt mein Magen immer lauter und der Kreislauf hat bereits seine Schwierigkeiten. Am Bettchen angekommen, will ich mich sofort wieder hinlegen, sehe dann aber mein OP-Reise-Set auf dem Nachttisch liegen. Also klettere ich schnell noch in den Flatterumhang, ziehe die Stützstrümpfe an, steige zurück ins Bett und warte.

Irgendwann holen die Pfleger mich ab. Leider versorgt man mich erst jetzt mit einer Scheiß-egal-Tablette, die ich viel lieber schon vor 30 Minuten geschluckt hätte. Während im OP-Bereich reges Treiben herrscht, liege ich da und bin unheimlich nervös. Meine Beine kribbeln fürchterlich, sodass ich sie überhaupt nicht still halten kann. So muss sich Ohnmacht anfühlen, wenn man bereits liegt. Es ist, als ob ich in einem vollen Raum wäre und schreien würde, ohne dass mich einer hört. Trotz meines extrem unruhigen und ängstlichen Auftritts, scheint absolut keiner stutzig zu werden. Schließlich mache ich das Personal selbst darauf aufmerksam wie unwohl mir ist. „Es geht ja gleich los!“, entgegnet mir die Schwester. ‚Das ist ja das Problem!’, denke ich. Was glaubt die denn? Das ich es kaum erwarten kann!? Dann potenziert sie meinen Zustand und legt mir einen venösen Zugang – auf meinem Handrücken! Wie unglaublich unangenehm das an dieser Stelle ist, wusste ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht! 😦 Das gibt mir echt den Rest. Ich denke tatsächlich kurz darüber nach, mich in Vollnarkose legen zu lassen. Dann fällt mir aber ein, wie schlecht es mir nach Narkosen immer ging…

Nun betritt der Chirurg den Raum und schnell wird klar, dass der junge Kerl offensichtlich in einen Kessel voller Ego gefallen ist. Es braucht keine drei Sekunden, dass ich ihm meinen Stempel ‚Unsympathisch!’ auf die Stirn eingraviere. Er desinfiziert und betäubt den Bereich links über meiner Brust. Ich schaue stur nach rechts in den Raum und beobachte andere Dinge und Menschen im Zimmer. Wenn ich jetzt einen Film schauen könnte… das wäre nett. Anfangs merke ich in der Tat gar nichts – die Betäubung funktioniert also. Plötzlich fängt der Arzt aber an, jeden seiner Schritte zu kommentieren. Das wird besonders interessant, als das Einsetzen des Ports sich offenbar etwas kniffliger erweist als geplant: „Nun geh schon rein du doofes Ding… ach was für ein Mist! Wieso klappt das denn nicht?“. Ja, genau das will man als Patient hören, wenn die Angst einen ohnehin schon völlig im Griff hat! Dabei übt der Arzt einen enormen Druck auf die Wunde aus: „Nun geh schon rein!“. Als sein grobmotorisches Vorgehen anfängt weh zu tun, spreche ich ihn darauf an – mit der offenbar waghalsigen Erwartung, er würde dem Schmerz ganz selbstverständlich sofort ein Ende setzen. Stattdessen fragt er mich: „Halten Sie’s noch aus?“. Hat der noch alle Latten am Zaun!? „Nein!“ „Soll ich noch Betäubungsmittel nachspritzen?“ „Ja! Bitte!!!“ „Ok.“ Dann verschwindet der Schmerz.

Alles in allem lässt sich diese ganze Situation wie folgt zusammenfassen: Feingefühl? Keine Spur! Ich komme mir tatsächlich vor wie eine Nummer, die es abzuhaken gilt – auf keinen Fall mehr und wenn möglich etwas weniger. Ich würde wetten, dass der Arzt noch nicht einmal weiß, warum genau er mir gerade den Port einsetzt.

Irgendwann ist es tatsächlich geschafft. Nun liegt eine kleine Kammer direkt unter meiner Haut. Daran hängt ein langer Schlauch (Katheter), der in eine Vene im Bereich des Schlüsselbeins eingebracht und von dort soweit vorgeschoben wurde bis er kurz vor dem Herzen lag (siehe Röntgenfoto unten).

Ich erinnere mich, dass eine Stationsschwester mich darum bat, dem Chirurgen zu sagen, dass er bitte schon mal den Port anstechen möge. Ich gebe diese Info also an den Arzt weiter. Eigentlich überrascht es mich nicht, dass er ziemlich genervt ist, dass er das nun auch noch machen muss! Was soll ich dazu sagen?! Ich finde es ja schon skurril genug, dass ich an dieser Stelle als Vermittler eingesetzt werde. Aber vielleicht schreibt man hier noch auf Steintafeln… Der Arzt sticht den Port also durch die Haut hindurch mit einer Nadel an. Darüber gelangen nachher die ganzen flüssigen Medikamente in meinen Körper. Als ich von den Stationsschwestern im OP wieder abgeholt werde, wirkt endlich die Scheiß-egal-Tablette und ich schlafe ein… ein Kommentar zu diesem Timing erspare ich mir jetzt!

Am Nachmittag besucht mich die Familie. Eigentlich hat meine Mami heute Geburtstag. Dass aber keiner in Feierlaune ist, muss ich wohl nicht erklären. Die Stimmung ist natürlich eher bedrückend und als eine Schwester mir meinen Ständer ins Zimmer bringt, läuft allen ein Schauer über den Rücken – obwohl noch gar keine Medikamente dran hängen und ich auch noch nicht angeschlossen werde. Das wird er also sein, mein Begleiter in den nächsten Monaten. Ich könnt jetzt wieder denken „Na ja, gibt Schlimmeres“ aber ausnahmsweise fällt auch mir dazu nicht viel ein. Da ich noch sehr müde bin, verabschiedet sich mein Besuch bald wieder, um mir noch ein wenig Ruhe zu gönnen.

Mittlerweile hat man mich auch mit (Lutsch-)Tabletten (Amphotericin) und einer Mundspülung (Tantum Verde) versorgt. Wenn ich irgendwas gegessen habe, soll ich immer gleich Zähneputzen, den Mund spülen und eine Tablette lutschen um den Mund von Essensresten und Keimen zu befreien. Wenn die Chemo nämlich erst mal die Mundschleimhaut angreift, wird damit eine natürliche Schutzbarriere zerstört und Keime haben freie Bahn. Wenn dann zusätzlich durch die Therapie auch das Immunsystem im Keller ist, kann eine banale Wunde zum echten Problem werden. Im Mundbereich scheinen Pilzinfektionen weit oben auf der Liste zu stehen, die ziemlich hässlich sind.

Es ist 21:00 h als die Schwester mit meinem ersten Beutel Zytostatikum das Zimmer betritt. Es ist also soweit… alles, wovor ich seit Tagen Angst habe, liegt nun unmittelbar vor mir. Die Beschriftung auf dem Beutel wird akribisch mit meinem Chemoplan verglichen, um Verwechslungen oder Fehleinstellungen zu vermeiden. Dann kommt der Arzt und betätigt die Start-Taste. Das wirkt alles so verblüffend unspektakulär, wenn man doch bedenkt, welch große Wirkung dieser Knopfdruck auf mein gesamtes Leben haben wird. „Wenn irgendwas ist, melden Sie sich bitte!“

Dann sind wir ganz allein, meine Chemo und ich… und eigentlich weiß ich gar nicht, auf was ich jetzt warten soll. Im Hinterkopf hat man all die Nebenwirkungen, von denen man nicht weiß, ob sie einen selbst überhaupt heimsuchen und wenn ja, wie schnell und wie stark sie tatsächlich auftreten werden. Die Flüssigkeit läuft durch die Schläuche in meinen Port und von dort durch den Katheter direkt ins Herz. Was unheimlich klingt, ist auch besonders effektiv: Denn damit sind die Medikamente direkt beim Hauptmotor des Körpers, mit dessen geballter Pumpkraft alles in sekundenschnelle bis in jede kleinste Ecke des Körpers befördert wird.

Ich versuche mich abzulenken indem ich den Fernseher an mache und mich vom Ständer wegdrehe. Wenn ich nicht hinschaue und auf andere Gedanken komme, merke ich vielleicht nichts. Schließlich will ich mir die Nebenwirkungen ja auch nicht einbilden. Schon bald wird mein Verdacht, dass sich die Chemo auch ohne mein gedankliches Zutun von ganz allein bemerkbar machen wird, bestätigt. Im Mund macht sich ein unangenehmes Gefühl breit und das Schlucken fängt an weh zu tun. Dieser Zustand hält glücklicherweise nicht lange an, zumal mir dann auch vor lauter Erschöpfung die Augen zufallen.

Port