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Weil mir übel ist und mich zusätzlich Kopfschmerzen plagen, werde ich wach. Draußen ist es stockfinster. Da wir aber Winter haben, kann es sowohl mitten in der Nacht als auch früh am Morgen sein. Hier drin verliert man leider jedes Gefühl für Raum und Zeit. Es gibt nur zwei Dinge, woran ich erkenne, dass noch Nachtschicht angesagt ist. 1.: Die Lichter im Gebäude gegenüber sind noch alle aus. Und 2.: Der Blick auf meine Uhr: 04:30. Ich klingle nach einem Pfleger, welcher mich mit irgendeinem Medikament versorgt, wovon zumindest die Übelkeit verschwindet. Ich schlafe wieder ein. Als ich das nächste Mal wach werde, ist es draußen immer noch dunkel. Nun aber sind die Lichter im Ärztehaus gegenüber an. Ein neuer Tag hat also begonnen! Gut zu wissen…
Über den Tag verteilt merke ich, wie ich zunehmend schlapper werde. Mein Gesicht hat inzwischen eine extrem rosige Farbe angenommen und ist entsprechend überdurchschnittlich warm. Keine Ahnung, wovon das kommt. Das Frühstück steht immer noch unangetastet auf meinem Tisch. Wenn man mich fragt, was ich gern essen möchte, ist die Antwort mittlerweile ziemlich schwierig. Denn Hunger habe ich nicht, das Kauen ist anstrengend und schmecken tut’s sowieso schon lange nicht mehr. Der ohnehin nicht sehr gelungene Krankenhausfraß trägt sein Übriges dazu bei. Hinzu kommt, dass jegliche Speise, die extrem intensiv riecht, meine Übelkeit nur noch weiter anstachelt. Neulich hat man mir zum Mittag irgendeinen Braten vor die Nase gesetzt… noch bevor die Küchendame den Raum verlassen konnte, bat ich sie, das Essen sofort wieder mitzunehmen.
Ansonsten sind die Pfleger mir dieser Tage eine sehr gute Unterstützung. Sie verlieren den Blick auf das große Ganze nicht, denken pragmatisch und profitieren natürlich sehr von ihrem Erfahrungsschatz. Die Menschen aus meinem privaten Umfeld tun sich hingegen immer noch sehr schwer, eine angemessene Verhaltensweise zu finden. Entweder verharren sie noch in ihrer Verzweiflung und ihre verquollenen Augen verraten das Übrige – dann ist es für mich enorm anstrengend, Energie in gute Mine zum bösen Spiel zu investieren. Oder sie eignen sich eine (teilweise völlig übertriebene) gute Laune an, die ich ihnen kaum abkaufen kann und die zudem gelegentlich völlig unangebracht ist.
Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich mich in Gegenwart der anderen nicht einfach mal fallen lassen kann. Es ist, als ob ich bei jedem Besuch eine völlig andere Schallplatte auflegen muss. Und erst, wenn alle wieder weg sind und ich in meinen Ruhemodus zurückfallen kann, merke ich, wie anstrengend das ist.
Ich führe nicht nur meinen eigenen Kampf gegen das Gift, das durch meine Adern fließt, sondern päpple auch weiterhin die Menschen um mich herum auf… nur damit SIE nicht so viel leiden! Was unglaublich absurd klingt, ist absolute Realität. Auch andere Patienten können das bestätigen. Ich würde momentan auch nie eine ehrliche Antwort auf die Frage „Wie geht es dir heute?“ geben. Vielen Menschen merke ich an, dass sie nur aus reiner Höflichkeit fragen, die Wahrheit aber eigentlich gar nicht so nah an sich heran lassen wollen. Hinzu kommt, dass viele Leute ohnehin nicht wissen, was sie dazu sagen sollen. Einem Kranken gerecht zu werden, ist in dieser Situation dann auch nicht leicht. Ignoriert man ihn, fühlt er sich nicht ernst genommen. Verharmlost man das Ganze, verärgert man ihn. Und wenn man ihn zu sehr bemitleidet, zieht man ihn noch tiefer in sein Loch.
Mein Gegenvorschlag: Wie wäre es, wenn man einfach nur zuhören und dann mal fragen würde, wie man helfen kann? Aber das scheint offenbar nur etwas für Geübte zu sein. Der Rest ist noch gefangen in der eigenen Angst… Angst vor der Krankheit, Angst vor der Chemo und Angst vor dem, was einen traurig machen könnte.