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Nach 6 Tagen Krankenhaus und Chemotortur ist der erste Tag daheim eine extreme Herausforderung für mich. Nicht nur, weil ich die Treppen zu unserer Wohnung im zweiten Stock im Zeitlupentempo erklimme, sondern auch, weil es mein Selbstwertgefühl auf eine harte Probe stellt. Ich fühle mich komplett durchtränkt von den Giften und wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nur Krankheit. Mich selbst erkenne ich nicht mehr.

Mein erstes Ritual besteht darin, mich lange abzuduschen. Es gibt mir das Gefühl, einen Teil der Chemie und das Krankenhaus mit all seinen Gerüchen von mir abzuspülen. Wenn ich dann zusammengekrümmt in der Badewanne sitze und den Gedanken, dass mich so einer sehen könnte, unerträglich finde, blicke ich gedanklich von oben auf mich herab. Was ich dann sehe, erinnert mich sofort an Gollum, eine eher unansehnliche Kreatur aus „Der Herr der Ringe“. Allerdings hat selbst dieses Wesen mehr Haare auf dem Kopf…

Wenn ich vor dem Spiegel stehe, sehe ich einen völlig geschundenen Körper. Die Knochen stehen hervor und werden von der Haut wie ein Spannlaken überzogen. Kreidebleich. Schwarze Augenringe. Glatze. Dann die große Narbe auf meinem Oberkörper – dort, wo eigentlich eine Brust sein sollte. Der Port ist noch mit einem Pflaster abgedeckt. Aber auch wenn ich es entferne, wird es nicht besser. Der Port zeichnet sich unter der Haut genauso stark ab wie die Rippen. Eigentlich liegt mir Selbstmitleid überhaupt nicht. Aber in diesem Moment habe ich tatsächlich das Gefühl, dass das Leben gerade schöner sein könnte.

Mein Freund beteuert immer wieder, dass ich nicht hässlich sei. Ich weiß das wirklich zu schätzen und bin ihm unendlich dankbar dafür – nicht, weil er das einfach nur so sagt, sondern weil ich merke, dass er es durchaus ernst meint. Das Problem ist nur, dass ich ihm nicht glauben kann. Mein Spiegelbild ist derzeit einfach zu direkt.