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Seit einem Tag bin ich zurück im Krankenhaus und lasse die dritte, 5-tägige Chemokeule über mich ergehen. Ich liege in einem 2-Bett-Zimmer – die beste Situation, wie ich finde. Zu Zweit ist man eben weniger allein und trotzdem hat es noch was privates und ruhiges. Man kann sich unterstützen, bei Bedarf unterhalten oder einfach mal gemeinsam ablästern. Auf diese Weise lenkt man sich gegenseitig etwas ab, wodurch man schwerer auf den Gedanken kommt, sich selbst zu bemitleiden – was im Krankenhaus nur all zu schnell passieren kann. Da man im selben Boot sitzt, ist das Verständnis für ein gelegentliches Ruhebedürfnis in der Regel sehr groß. Da muss sich keiner erklären.

Die Pfleger geben sich zudem sehr große Mühe, Patienten der gleichen Altersgruppe in ein Zimmer zu stecken. Natürlich kann das nicht immer gelingen – was ich aber gar nicht schlimm finde. Im Gegenteil. Es ist mir hin und wieder eine willkommene Abwechslung, mit einem älteren Menschen das Zimmer zu teilen, da sie meist etwas ruhiger, entspannter und einfühlsamer sind. Genau das, was ich in dieser Situation brauche.

Was mich immer wieder erstaunt, ist, wie groß die sofortige Vertrautheit und Hilfsbereitschaft untereinander ist – obwohl man sich nicht kennt und eigentlich genügend eigene Probleme hat. Und wenn man aus dem Krankenhaus entlassen wird und jeder wieder zu seinem eigenen Zuhause aufbricht, hat man das Gefühl, dass man verbunden bleibt… im Geiste.

Auch ich habe in diesen Tagen wieder das Glück, mir mit einer ganz besonderen Dame das Zimmer zu teilen. Sie kommt aus Sachsen und ist zur Nachsorge im Krankenhaus. Es tut mir wahnsinnig gut, jemanden zu treffen, der den Krebs überstanden hat, nicht mehr nach Chemo aussieht und wieder ins Leben zurückgekehrt ist. So ein Anblick baut mich derzeit am meisten auf.

Obwohl man eigentlich nicht behaupten kann, dass sie es im Leben wieder einfach hätte. Sie hat durch den Krebs einen Arm verloren, sich aber trotz aller Widrigkeiten im Leben damit arrangiert. Ich bin entsetzt, wenn sie mir berichtet, wie wenig Hilfsmittel es für Menschen in ihrer Situation zu geben scheint. Zumindest erzählt sie mir davon, was sie sich seither alles selbst gebastelt hat, um im Alltag ansatzweise zurechtzukommen. Und dabei fängt es schon mit solch einfachen Dingen wie einer rutschfesten Unterlage an – denn mit einer Hand etwas festhalten, während die andere Hand ausführt, ist etwas, was mit einem Arm eben nicht mehr funktioniert.

Im Krankenhaus stelle ich aber voller Bewunderung fest, mit wie viel Selbstbewusstsein sie die alltäglichen Dinge meistert. Natürlich braucht sie für alles etwas länger… na und. Wenn sie duschen will, fragt sie mich vorher, ob ich lieber noch einmal auf die Toilette möchte, da es bei ihr eben etwas länger dauern kann und sie wiederum weiß, dass mit meinen vielen Infusionen permanent die Blase ruft. Man versteht sich halt blind.

Obwohl ich ihren Mann nicht kenne, ist auch er mir – aufgrund ihrer Erzählungen – sofort sympathisch. Immerhin hat er seinen Job aufgegeben, weil sie ganztags auf Unterstützung angewiesen ist. „Es schmerzte mich anfangs sehr, zuzusehen, wie mein Mann die Wäsche aufhängt… aber ich hatte keine Wahl. Er muss es ja seither machen. Und irgendwann war es mir auch egal, dass am Ende alles knittrig ist…“ 🙂 Und so schafft sie es, dass selbst mir in meinem beginnenden Chemo-Delirium ein Lächeln übers Gesicht huscht…

Weil das Kauen in meinem schwachen Zustand nicht meine größte Leidenschaft ist und die labbrigen Brötchen bzw. Brotscheiben mich ebenfalls nicht großartig dazu animieren, habe ich mir Cornflakes mit ins Krankenhaus gebracht. Eine Schüssel und Milch gibt es dann von der Küchenhilfe. Meine Bettnachbarin lacht mich immer aus: „Du mit deinem Vogelfutter…“ Währenddessen beobachte ich sie erstaunt dabei, wie sie mit einer Hand die Butter aus der Verpackung kratzt und sich in kleinen Schritten ihr Brot fertig schmiert. Meine Hilfe möchte sie nicht. „Das schaff ich schon… es dauert halt nur etwas länger.“ Währenddessen rege ich mich innerlich ziemlich auf, dass das Krankenhaus es nicht gebacken kriegt, einem Menschen wie ihr das Brot fertig geschmiert zu überbringen. Stattdessen wird ihr die Butter und die Wurst eingeschweißt vor die Nase gesetzt. Es erinnert mich stark an den Anblick einer Katze, die vor dem verschlossenen Dosenfutter sitzt und verhungert.

Beim Anziehen bittet sie mich dann doch um ein wenig Unterstützung, da sie den Verschluss des BHs nicht einhändig bedienen kann.

So hilft der eine Behinderte dem anderen… von außen betrachtet waren wir wohl eine ziemlich putzige Kombination!