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Es gibt nicht viele Klischees, die sich in der Realität bewahrheiten. Doch eine Glatze bei Krebs während einer Chemotherapie ist in der Tat kaum vermeidbar. Diese Nebenwirkung der Krebstherapie ist für viele Betroffene DAS Problem schlechthin, schlimmer als Übelkeit und Energielosigkeit zusammen. Dabei ist nicht nur der Haarausfall selbst belastend, sondern auch schon der Gedanke daran. In der Fachzeitschrift Senologie habe ich dazu nun einen Artikel gelesen, der meine Erfahrungen nicht nur bestätigt, sondern das Ganze auch in Zahlen ausdrückt. Demnach sei für knapp die Hälfte der Patientinnen der Haarausfall während einer Chemotherapie das traumatischste Erlebnis und rund 8% lehnen aus genau diesem Grund die Therapie ab.

Nun kann man sich vielleicht fragen: Warum? Sollten die Gesundheit und das Besiegen einer bösartigen Erkrankung nicht im Vordergrund stehen und deshalb alles andere egal sein? Das mag man rational betrachtet so sehen… Die Realität sieht jedoch schlichtweg anders aus. Während Ärzte sich auf medizinische Risiken wie Herzprobleme oder Fieberzustände konzentrieren, stellt der Haarausfall für den Patienten oft alles andere in den Schatten. Im besagten Artikel schreibt Herr Dr. Weiß: „[…] im Gegensatz zu anderen Nebenwirkungen [ist das] für alle von außen gut sichtbar und eine Art Stigma der Chemotherapie.“ Er zitiert zudem die Psychoonkologin Frau Hornemann, die sagt: „Eine englische Studie konnte nachweisen, dass [der Haarverlust] von beiden Geschlechtern als Schock und Stress erlebt wird und sowohl bei Männer als auch bei Frauen zu massiven Einschränkungen des Körperbilds führt.“ Dabei kämpfe besonders die ältere Generation mit depressiven Symptomen. Während den Männern vor allem der Verlust von Kopf- und Körperbehaarung unangenehm sei, fänden Frauen das Fehlen von Wimpern oder Augenbrauen dramatischer. Jüngere Menschen gingen mit dieser Situation hingegen wesentlich entspannter um. Sie würden sich öfter an Vorbildern aus der Medienlandschaft orientieren und seien dadurch offener und experimentierfreudiger.

Aber zunächst ein kleiner Faktencheck:

Im Durchschnitt beginnt der Haarausfall ein bis drei Wochen nach Beginn der Chemotherapie. Auch bei mir ging es exakt zwei Wochen nach erster Chemogabe los. Es fallen aber nicht alle Haare von einer Sekunde auf die nächste einfach so ab. Vielmehr werden nach und nach die Haare abgegeben… Wie bei einem Tier, das sein Winterfell abstößt – nur dass bei den Patienten kein neues Haar darunter liegt. Nach ein bis drei Monaten ist der Kopf dann glatt wie ein Babypopo. Unterdessen rückt mit etwas Verzögerung die restliche Körperbehaarung inklusive Schamhaaren, Barthaaren, Augenbrauen und Wimpern nach. Gerade der Verlust von Gesichtshaaren führt zum „vollendeten“ Bild des Krebspatienten. Denn während die Glatze durch eine Perücke gerettet oder eine schöne Mütze wieder in Szene gebracht werden kann, sind die Härchen im Gesicht sehr viel schwieriger zu ersetzen. So geht ein Großteil des Gesichtsausdrucks verloren und die Krankheit lässt einen endgültig nackt erscheinen.

Man wird in gewisser Hinsicht zum Außenseiter degradiert. Und Menschen, die ihre Krankheit lieber geheim halten wollten, kommen in Erklärungsnöte. Zusätzlich fühlt man sich seiner Attraktivität extrem beraubt. Das Verständnis von Angehörigen und vor allem vom Partner sind in dieser Situation enorm wichtig. Denn die Angst vor Zurückweisung ist nun so hoch wie nie. Wenn an diesem Punkt die emotionale Unterstützung (auch von Seiten des medizinischen Personals!) fehlt, ist die Frustration so hoch, dass die Gefahr eines Therapieabbruchs oder großer psychischer Probleme droht. Beides ist für das eigentliche Ziel der Therapie – nämlich der Genesung – nicht förderlich.

Genau zu diesem Zeitpunkt sollte jedem die Möglichkeit offen stehen, an einem Kosmetikseminar für Krebspatienten teilzunehmen. Diese Kurse sind für die Betroffenen kostenlos und geben ihnen wunderbare Tipps und Hilfsmittel mit auf den Weg, die man im Alltag sehr gut nutzen kann. Ich selbst habe solch einen Kurs von DKMS LIFE besucht und kann es nur empfehlen. In einer ungezwungenen, entspannten Atmosphäre sitzt man mit anderen Patienten zusammen und vergisst für kurze Zeit die Strapazen des Alltags.

Es gilt auch zu bedenken, dass Dauer und Ausmaß des Haarverlustes von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein können, wie auch im Artikel von Herr Dr. Weiß beschrieben. Das liegt daran, dass es unterschiedliche Medikamente gibt, welche bei einer Chemotherapie eingesetzt werden können. Manche begünstigen eher einen Haarverlust als andere. Die Medikamente werden aber in der Regel nicht am Wunsch nach möglichst geringem Haarausfall orientiert, sondern an der Wirksamkeit die Krankheit zu bekämpfen. Wer zudem mehrere „Anti-Krebs-Medikamente“ (sog. Zytostatika) erhält, wird eher mit Haarausfall rechnen müssen als jemand, der nur eins bekommt. Nicht zuletzt spielt auch der zeitliche Ablauf eine wichtige Rolle. So bestehen manche Therapien aus weniger Zyklen als andere… Manche Medikamente werden für zwei Stunden pro Zyklus verabreicht und manche über zwei Tage… Im Grunde gilt: Umso intensiver die Behandlung, umso stärker auch der Haarausfall.

Ist die Therapie vorbei und die Medikamente abgesetzt, dauert es ungefähr ein viertel bis halbes Jahr bis die Haare wieder nachwachsen. Dabei können sie zunächst von ungewohnter Struktur sein. Viele Patienten berichten von Locken, obwohl sie vorher nie welche hatten. Oft ist das Haar auch samtig weich wie bei Babys. Und vielleicht wachsen auch kleine Härchen dort, wo sie vorher nicht waren, sodass man als Frau beispielsweise das Gefühl hat, einen Bart zu kriegen. Das währt aber nicht lange. Dieser kleine „Flusenteppich“ verschwindet wieder und was bleibt sind die festen Haare wie man sie kannte. Nur selten kommt es vor, dass die Haarpracht nicht zurückkehrt. Etwas öfter geben die Patienten hingegen an, dass die Haare seither dünner seien als vor der Therapie.

Das Schöne an dem Haarausfall ist und bleibt: Es ist nur vorübergehend! Und in der Zwischenzeit findet jeder seinen eigenen Weg im Umgang damit. Einfach mal was ausprobieren – das ist hier die Taktik. Ob Perücke, angemalte Augenbrauen, ein schönes Kopftuch oder gar die künstlerische Variante mit einer Kopfbemalung… Alles ist möglich und vieles geht!

 

Quelle: Weiß, Johannes. Alopezie bei Krebstherapie: traumatisch und stigmatisierend. Senologie – Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie. Ausgabe 4/2015. Seite 174-176.